Vor fast genau 17 Jahren sah ich ihn zum ersten Mal und war sofort verliebt. Und diese Liebe, die auf Gegenseitigkeit beruhte, hielt ein Leben lang.
Damals war er ungefähr ein Jahr alt und ein illegaler Einwanderer aus Griechenland. Seine Kindheit verbrachte er dort auf der Straße. Mit seiner zurückhaltenden Art bekam er kaum etwas ab, wenn bei einer Hotelküche Straßenkatzen gefüttert wurden. Ein in Deutschland lebender Verwandter der Hotelbesitzer, der dort Urlaub machte, erkannte seine missliche Lage und beschloss, ihn dort herauszuholen. An seinen neuen zuverlässigen Futterverteiler gewöhnte er sich sofort auf sehr zutrauliche Weise. Bei der Rückkehr nach Deutschland, machte es sich sein Retter sehr einfach. Er steckte ihn einfach in eine Tasche und ging zum Flughafen. Sicher waren die Kontrollen damals noch sehr viel lascher, aber es war schon erstaunlich, dass er ohne Probleme bis ins Flugzeug kam. Dort wurde man allerdings auf den blinden Passagier sofort beim Einsteigen aufmerksam. Es war eine deutsche Maschine. „Tiere gehören in den Gepäckraum! In einer Transportbox! Und wo sind überhaupt die Papiere?” Der Retter musste passen und der Flugbegleiter verkündete, dass das Kätzchen nicht mitfliegen dürfe. Das fand aber die Mehrzahl der Passagiere nicht in Ordnung und protestierte dagegen, dass dieses kleine Kätzchen am Flughafen allein zurückgelassen werden sollte. Ein Wunder geschah – es wurde Herz gezeigt und er konnte mit.
Hier in Deutschland lebte er dann zwar liebevoll umsorgt, aber arbeitsbedingt sehr einsam in einer 1-Zimmer-Wohnung. Die Freundin des Retters drängte ihn daraufhin, dass das auch nicht die optimale Lösung ist und schweren Herzens wurde nach einem neuen Zuhause gesucht. Was dann im RL-Gruselkabinett gefunden wurde.
Sein Retter nannte ihn Karlo und er hörte auch auf seinen Namen. Bei mir wurde er umbenannt auf Maldoror und hörte auch auf seinen Namen. Als der Retter nach 14 Tagen noch einmal im RL-Gruselkabinett vorbeischaute, um zu sehen, wie sich sein Schützling eingewöhnt hatte, hatte dieser seinen vorherigen Namen schon vergessen.
Fortan war er stets zur Stelle, wenn nach Maldoror gerufen wurde (außer das letzte Jahr, als er vollkommen ertaubt war) oder meist einfach so, weil sein Kuschelbedarf unerschöpflich war. Beim Futter war er oft etwas sehr wählerisch, aber sobald es ums Kuscheln ging war es ihm auch egal, ob er dazu erst einmal früher vom sehr, sehr kleinen Monster durch die Gegend getragen wurde oder sich in einer Menschenmenge von Besuchenden der Wohnzimmerkonzerte von einer streichelnden Hand zur anderen begab. Hauptsache kuscheln. Das kleine Monster hat dies auch schon sehr früh in einem Bild festgehalten.
Im vorherigen RL-Gruselkabinett musste er sich erst einmal an die Größe (nach der 1-Zimmer-Wohnung) gewöhnen. Nach dem Einzug hatte er sich zunächst unterm Bett verkrochen. Als er sich hervorwagte und auch das Schlafzimmer verlassen hatte, stand er erst einmal sehr überfordert sehr lange im Flur. Auf einmal gab es da so viele Richtungen. Und dann doch den Flur weitergehend gab es noch viel mehr. Da musste er noch viel länger überlegen, wohin er sich nun bewegen sollte. Die Schüchternheit hat er dann aber sehr schnell abgelegt und er war dann auch der Erste, der im neuen RL-Gruselkabinett alle Etagen erkundete. Dort hat er es dann auch sehr zu wärmeren Jahreszeiten genossen, sich einen schönen Platz in der Sonne auf der Terrasse zu suchen.
Im letzten Jahr machte sich dann doch sein Alter bemerkbar. Neben seiner Taubheit war eine Arthrose im Ansatz erkennbar. Mit Grünlippmuschelpulver war eine deutliche Verbesserung erkennbar, nachdem er auch zeitweise Metacam bekommen hatte. Nach einem Magen-/Darminfekt vor knapp zwei Wochen erholte er sich aber nicht wirklich richtig. Vieles spricht für multiple altersbedingte Organschädigungen. Gestern hatte er sich an einem ungewöhnlichen Platz zurückgezogen. Für mich sah es so aus, als ob er sterben wollte. Nach Absprache mit dem Tierarzt wartete ich bis heute ab. Maldoror kam aus seinem Rückzugsort spätabends wieder hervor. Er konnte kaum laufen, aber hatte Appetit. Ich nahm ihn dann zu mir und er schlief auf mir fast zwei Stunden. Und dann weiter mit Essen, Trinken und mit Ankuscheln des Kopfes an meiner Hand. Trotz Schmerzmittel hatte er aber eindeutig Schmerzen. Auch wenn die dann mitten in der Nacht wieder weg waren, war mir schon vorher klar, dass jetzt der Zeitpunkt ist, sich zu verabschieden.
Und so war heute der Tag des Abschieds. Von dem besten Kater überhaupt. Hm, ja – das stimmt nicht (so ganz), weil da ja auch noch ein anderer Kater – Mortimer – da ist. Und der hat meine bedingungslose Liebe ebenso. Aber Maldoror war First Love bei Katzen. Ich werde das Schnurren nie vergessen. Das wohlige Einschmeicheln des Kopfes auf meiner Hand.
Ich danke dir für die gemeinsame Zeit.