Gerade so den tödlichen Männerschnupfen überstanden und zuvor passend so viel Unvernunft wie möglich grassieren lassen, ging es gestern in aller Früh in den Sommer, der sich surreal nennt. Den realen Sommer längst hinter uns, fuhren wir immer weiter in ein zunehmend nebliger werdendes Grau. Normalerweise wäre die umgekehrte Richtung zutreffender gewesen, aber mit der Realität wollten wir ja nichts zu tun haben. Die Sonne kam uns allerdings hinterher geschlichen, so dass die Bewussten Halluzinationen am Mainufer schlendernd bei Sonnenschein angestrebt wurden.

Dort wurde man von Dunkelheit empfangen, die allerdings nicht von 1200 an der Decke hängenden Kohlensäcken herrührte, sondern eher zweckdienlich den zahlreichen Filmvorführungen zu Gute kam. Gleich am Eingang wurde man von – wie nicht anders zu erwarten – André Breton begrüßt, leicht zurück gesetzt in Begleitung von Luis Buñuel und Salvador Dalí – wie sollte es anders sein. Höchstpersönlich anwesend waren diese sowie viele weitere mehr oder weniger bekannte Vertreter des surrealenen Films natürlich nicht – Hüte, die von der Decke hingen, bargen in ihrem Innern jedoch Erleuchtung mit kurzen Informationen zu den jeweiligen Persönlichkeiten. Neben den allbekannten und oft gezeigten Gassenhauern „Un chien andalou” und „L’age d’or” gab es eine ganze Menge eher wenig bis gar nicht bekannter Filme auf den vielen Leinwänden größtenteils ausschnittsweise zu entdecken. Genau wie mittig der Ausstellung die geografischen Bewegungen der surrealen Filmkünstler auf einer Weltkarte dargestellt sind, so unternimmt man auch in dieser Ausstellung eine Weltreise. Weit über die bekannte Achse Paris-Prag hinausgehend, landet man beispielsweise in Serbien, Brasilien oder China.

Hierzu muss noch gesagt werden, dass es sich bei dem Gezeigten ausschließlich um Sachen der 20er, 30er Jahre handelt. Der dazugehörige Ausstellungskatalog geht zeitlich noch etwas weiter, aber auch nur sehr begrenzt. Allerdings wäre eine allumfassende Ausstellung wohl nur schwer realisierbar. Immerhin ist es überhaupt das erste Mal, dass sich eine Ausstellung mit dem filmischen Surrealismus befasst. Dass dies Hand und Fuß hatte, konnte man auch wortwörtlich sehen. Optimal gelöst war die akustische Wiedergabe auf engstem Raum bei den Filmen – es ergab sich keine alles übertönende Kakophonie. Nicht so gut war die Beleuchtung der Vitrinen (die ebenfalls gut zu Fuß waren), da man oft Mühe hatte, seinem eigenen Schatten aus dem Weg zugehen. Zu sehen gab es dort viele Original-Exponate wie z. B. das handgeschriebene Manuskript des Surrealistischen Manifests (graphologisch höchst interessant).

In der Gesamtheit war dies eine sehr beeindruckende Ausstellung, die auf eher kleinem Raum unmittelbar erfahrbar eine Fülle an Anregungen gab, um sich im Nachhinein intensiver damit zu beschäftigen. Das betrifft vor allem den globalen Blick über den Pariser Tellerrand hinaus. Der Katalog ist hierbei sowohl davor als auch danach wohl unentbehrlich. Es hat mich also sehr gefreut, dass ich Gast des Hauses sein durfte. Dank Presseausweis gibt es hier auch noch ein paar Fotos zu sehen, die einen kleinen optischen Einblick ermöglichen: