Tags zuvor badete ich noch ausgiebig in Ostseewellen, einen Abend später in Klangwellen. Im Rahmen des internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel gab es ein Doppelkonzert mit Corecass und Hendrik Otremba.

Mit Corecass, dem Soloprojekt der Multiinstrumentalistin Elinor Lüdde, startete eine Reise in komplexe Klanglandschaften. Harfe und Orgel dominierten die düstere, sehr atmosphärische Musik, begleitet von Bass und E-Gitarre, gemischt mit Field Recordings und viel elektronischen Verfremdungen. Ab und zu kam auch auf recht unterschiedliche Weise Gesang hinzu. So entstand ein finster-mythischer Soundtrack zu einem nicht gezeigten Film, der oft zart, aber auch mal brachial Sakrales und Natur verbindet – voller Dunkelheit, aber ebenso mit hoffnungsvollen Lichtschimmern. Auch wenn manche Songs etwas beliebig wirkten, gab es dann auch wieder sehr beeindruckende Stücke und man tauchte gern in dieses Klangerlebnis ein.

Eigentlicher Grund für den Konzertbesuch war indes aber Hendrik Otremba, der hier nun sein erstes Solowerk „Riskantes Manöver” live mit Gitarrenbegleitung von Alan Kassab vorstellte. Musikalisch bin ich diesem Künstler schon lange, wenn auch nicht von Beginn an, durch seine Band Messer verfallen und gleichfalls seinem literarischen Schaffen, das inzwischen drei Romane und einen Lyrikband umfasst. (Zudem ist er auch noch bildender Künstler, aber hier öffentlich nicht so sehr aktiv.) All die Musik und Texte sind miteinander verwoben und bilden ein großes Ganzes, sind aber ebenso jeweils Welten für sich.
Mit dem Solowerk werden nun Welten zugänglich, die parallel zum bisherigen Schaffen entstanden sind und mit ihnen die Kunstfigur 66. Ein Beobachter, der sich mit seinem bandagierten Gesicht selbst der Beobachtung entzieht, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. Worte, die den zivilisatorischen Niedergang beschreiben und doch auch so viel mehr, denn auch hier schwingt trotz aller Abgründigkeit positive Energie mit. Musikalisch ist dies weit gefächert und lässt sich nicht auf ein Genre eingrenzen. Hier wird der Bogen von Schlagercovern (Michael Holm – „Smog In Frankfurt”) bis hin zu Krachigem à la Einstürzenden Neunbauten („Nektar, Nektar”) gespannt. Sowohl auf Platte, als auch bei der audiovisuellen Live-Performance ist das eine gelungene Einheit, deren Widersprüchlichkeit die Ambivalenz der Welt, in der wir leben bestens zum Ausdruck bringt. Ebenso trifft der Plattencovertext zu, dass es sich um „sürrealistische Mazsnahmen gegen die Verachtung der Gegenwarth” handelt. Mehr gegenwärtiges Erleben als bei so einem Konzert gibt es wohl kaum, auch wenn das nicht so zahlreich erschienene Publikum sich recht schwer tat und sich bei dieser wilden Mischung wohl etwas überfordert fühlte.
Nichtsdestotrotz war es für mich grandios und ich freue mich auch schon auf das nächste Messer-Album (Februar 2024) und das folgende Konzert (März 2024). Egal, in welche Richtung es geht – ich bin gespannt und sicher, dass ich letztendlich begeistert sein werde.

2023.08.22, 21:03 - C. Araxe
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